Von der Traurigkeit

Veröffentlicht am 29. Juli 2024 um 07:04

Eigentlich möchte ja niemand traurig sein... Im Gegenteil  - wir versuchen in der Regel,  eben nicht traurig zu sein. Wir trösten Kinder, wenn sie traurig sind und sprechen einander Mut zu, wenn es erforderlich erscheint. Wir wollen fröhlich und glücklich sein. Und zum Glück gelingt uns das auch meistens (zumindest wenn wir nicht krank sind ). Und trotzdem ist es ab und an unvermeidlich, dass wir traurig sind. Neben all den Bemühungen, glücklich zu sein oder zu werden gibt es auch immer wieder Momente, in denen ich einfach nur traurig bin. Manchmal gibt es dazu einfach keine Alternative. Und ich finde, dass auch diese Momente wichtig sind und einfach dazugehören. Warum?

Das kann ich am besten mit einer Geschichte erklären, die ich im Netz gefunden habe und gerne mit euch teilen möchte:

DAS MÄRCHEN VON DER TRAURIGEN TRAURIGKEIT (Inge Wuthe)

Es war einmal eine kleine Frau, die einen staubigen Feldweg entlanglief. Sie war offenbar schon sehr alt, doch ihr Gang war leicht und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten Mädchens.

Bei einer zusammengekauerten Gestalt, die am Wegesrand saß, blieb sie stehen und sah hinunter.

Das Wesen, das da im Staub des Weges saß, schien fast körperlos. Es erinnerte an eine graue Decke mit menschlichen Konturen.

Die kleine Frau beugte sich zu der Gestalt hinunter und fragte: "Wer bist du?" Zwei fast leblose Augen blickten müde auf. "Ich? Ich bin die Traurigkeit", flüsterte die Stimme stockend und so leise, dass sie kaum zu hören war.

"Ach die Traurigkeit!" rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.

"Du kennst mich?" fragte die Traurigkeit misstrauisch.

"Natürlich kenne ich dich! Immer wieder einmal hast du mich ein Stück des Weges begleitet."

"Ja aber...", argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüchtest du dann nicht vor mir? Hast du denn keine Angst?"

"Warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selbst nur zu gut, dass du jeden Flüchtigen einholst. Aber, was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos aus?"

"Ich..., ich bin traurig", sagte die graue Gestalt.

Die kleine, alte Frau setzte sich zu ihr. "Traurig bist du also", sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. "Erzähl mir doch, was dich so bedrückt." Die Traurigkeit seufzte tief.

"Ach, weißt du", begann sie zögernd und auch verwundert darüber, dass ihr tatsächlich jemand zuhören wollte, "es ist so, dass mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest." Die Traurigkeit schluckte schwer.

"Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: 'Papperlapapp, das Leben ist heiter.' und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: 'Gelobt sei, was hart macht.' und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: 'Man muss sich nur zusammenreißen.' und sie spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: 'Nur Schwächlinge weinen.' und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen."

"Oh ja", bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir auch schon oft begegnet..."

Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. "Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist hat eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf wie eine schlecht verheilte Wunde und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Stattdessen schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu." Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz verzweifelt. Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weich und sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel.

"Weine nur, Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr Macht gewinnt."

Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin:

"Aber..., aber – wer bist eigentlich du?"

"Ich?" sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd. "Ich bin die Hoffnung."

Ich weiß nicht, wie es euch gerade geht...aber ich finde, dass die Traurigkeit zu Unrecht gemieden wird. Denn sie erfüllt einen wichtigen Zweck: sie hilft uns dabei, unsere Gefühle zuzulassen und schlimme oder traurige Erfahrungen zu verarbeiten. Wenn wir es zulassen, traurig zu sein, dann können wir danach weitermachen. Indem wir zulassen, dass wir traurig sind, sammeln wir Kraft dafür, wieder glücklich zu sein. Denn die Traurigkeit geht irgendwann vorüber - weil wir unmöglich dauerhaft traurig sein können. Dazu müssen wir sie aber zulassen. Und eben nicht verjagen. 

Ich habe in den letzten Monaten häufig geweint, weil ich traurig war. Und trotzdem war ich auch sehr glücklich. Das klingt vielleicht etwas widersprüchlich. Ist es aber nicht. Denn meistens sind wir traurig, weil wir etwas oder jemanden verlieren, der uns am Herzen lag. So war das auch bei mir. Und ich bin davon überzeugt, dass die Traurigkeit der Preis dafür ist, dass wir Menschen und Tiere in unser Herz lassen. Oder eben dafür, dass wir fühlen. Deshalb lasse ich die Traurigkeit zu und fürchte mich nicht länger vor ihr. 

Und ich wünsche allen Menschen, die gerade traurig sind, dass ihnen die Traurigkeit dabei helfen wird, weiterzumachen. Dass sie es schaffen, die Trauer und ihre traurigen Gedanken und Gefühle zuzulassen....um irgendwann dankbar zurückblicken zu können auf die schönen Dinge und Momente. Denn die kann uns zum Glück niemand nehmen ❤️

Ich hoffe, ihr verzeiht mir, dass es heute keine lustige Gartengeschichte gab, sondern eine über die Traurigkeit. Aber ich fand, dass sie eine verdient hatte. Weil sie eben dazugehört - genau wie der Regen zum Gartenleben. Und wir wissen ja mittlerweile, dass es nicht immer regnen kann. Und dass auf Regen immer irgendwann der Sonnenschein folgt. 

Und bevor ich mir gleich meinen Rasenmäher schnappe, habe ich noch eine große Bitte an euch: drückt bitte heute ganz fest die Daumen. Für "meine" Regentänzerin. Denn sie braucht heute die geballte "Daumendrück-Power".🍀 Dankeschön ❤️

Ich wünsche euch einen schönen Tag. Bis morgen 🫶

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.